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von Schlomo Gross » 1. Aug 2005, 01:58
Schlomo und Golem erreichten nach wenigen Minuten die andere Kantine. Unterwegs hatte der Rabbi kurz den Eindruck gehabt, irgend etwas in einem der Lüftungsschächte rappeln zu hören, aber er kümmerte sich nicht darum, das Problem mit der oberen Kantine war einfach wichtiger. Als sie die Kantine betraten, entdeckten sie dort eine Katze, die hinter einer Dose Kittekotz meditierte.
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Luigi hatte den Intervallstabilisator auf den Boden gelegt und dem Bordingenieur ausführlich von Oi und den Abenteuern des Bordrabbiners berichtet. „Ja, aber was hast Du die ganzen 1400 Jahre gemacht, zu tun gab es doch offenbar nichts, wie Du gerade berichtet hast..“ „Ich hab mit einem anderen Roboter Zerkwon gespielt.“ „Zerkwon?“ „Ja, ein Brettspiel. Extrem spannend. Wenn man einmal damit anfängt, kann man nicht mehr aufhören.” „Wie geht das?“ „Die Regeln sind ganz einfach: Man hat ein quadratisches Spielbrett mit 7 mal 7 Feldern. Zwei Spieler sitzen sich gegenüber, jeder hat zwei mal 7 Figuren. Jeder hat seine eigene Farbe. Golem und ich haben immer Blau und Gelb benutzt, aber es geht natürlich auch jede andere Kombination. Schwarz und Weiß find ich zwar langweilig, aber wer’s mag.. Ja, gut, die Figuren werden in den jeweils ersten zwei Reihen gegenüber aufgestellt. Es sind also in der Mitte drei Reihen frei. Die Spieler ziehen abwechselnd jeweils eine ihrer Figuren. Die Figur muss sich dabei um genau ein Feld weiter bewegen. Das geht auch diagonal. Die Richtung ist frei wählbar. Auf einem Feld kann immer nur eine Figur stehen. Ziel ist es, drei seiner eigenen Figuren so auf zu stellen, dass sie mit einer Figur des Partners in einer Reihe stehen. Auch diagonal. Es ist dabei egal, ob die andere Figur am Rand oder in der Mitte steht. Dann darf man die gegnerische Figur aus dem Spiel nehmen. Verloren hat, wer nur noch 2 Figuren im Spiel hat, also keine Reihe mehr bilden kann.“ Die rothaarige Assistentin des Bordingenieurs war inzwischen dazugekommen. „Klingt interessant. Wir können es ja mal ausprobieren..” Sie öffnete einen Schrank mit Magazinkästen und zog zwei Kästen mit Sicherungen heraus. „Die benutzen wir als Spielfiguren, rote 4,7A Sicherungen und grüne 6,8A Sicherungen.“ Dann kramte sie aus ihrer rechten Oberschenkeltasche einen Lippenstift heraus und malte damit ein Spielfeld auf die plane Oberfläche eines schreibtischgroßen Terr-Nolag-Impulswandlers aus terranischer Fertigung.
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Karlo war hoch erfreut, als endlich zwei Leute auftauchen, die er fragen konnte, ob sie seine Dose für ihn öffnen würden. Genauer gesagt waren es ein Mann und ein Ding, wie man am Geruch und an den Geräuschen deutlich erkennen konnte. Er sprang auf, schrei laut „Mear!“ und kreiste dabei hektisch um die Beine der beiden.
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Sieht so aus, als ob jemand vergessen hätte, ihn zu füttern.” Schlomo deutete auf die Dose am Boden. Golem bücket sich und hob sie auf. „Wie geht das auf?“ Der Kater flippte inzwischen völlig aus. „Gib her, das Ding hat eine Ringpull.“ Schlomo nahm die Dose, klappte den Ring hoch und zog den Deckel ab. Der Kater schien von der ungeduldigen Sorte zu sein, er ließ dem Rabbi kaum eine Chance, einen Teller zu holen. Der schaffte es dennoch, einen einsam auf einem Tisch vergessenen Unterteller zu greifen, über die Dose zu legen, beides um zu drehen und die Dose letztlich ab zu ziehen. Auf dem Teller stand nun ein fleischfarbener, ekelhaft nach Fisch stinkender, schwabbeliger Zylinder. Schlomo stellte das Gebilde vor dem Kater auf den Boden und brachte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit. Das Raubtier stürzte sich auf den Klotz, als hätte es seit Wochen nichts mehr gegessen.
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Nach einer halben Ewigkeit gelang es Karlo, das Ding zumindest soweit zu überreden, dass es die Dose aufhob. Es war kaum mit an zu sehen, wie lange das Ding untätig dastand. Schließlich gab es die Dose an den Menschen weiter, der mit einer enervierenden Langsamkeit an der Dose herum hantierte. Nur gut, dass Karlo im Laufe seines langen Lebens Zurückhaltung und Geduld gelernt hatte. Eine wahre Engelsgeduld, anders konnte man das nicht bezeichnen. Als der Mensch ihm endlich - Karlo hatte den Eindruck, dass inzwischen Tage vergangen waren - den wohlriechenden Inhalt seiner Dose hin stellte, setzte er sich davor, um in aller Ruhe und mit Genuss zu essen.
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Golem hatte inzwischen festgestellt, dass auch dieser Transmitter abgeschaltet war und hatte dessen Wartungsklappe geöffnet. „Sieht so aus, als ob der hier das selbe Problem hat, wie der Transmitter oben.“ Golem drückte auf mehrere Tasten und legte zwei Steuerschalter um. „Aha, jetzt lässt er sich wieder einschalten!”. Als Golem meinte, dass der Transmitter nun betriebsbereit sei, stellte Schlomo sich davor und fragte die Gedankensteuerung, wie er ihr die Adresse von Oi geben konnte. Aber der Transmitter kannte die Adresse bereits! Golem fand schnell heraus, dass er sie ebenfalls vom hiesigen Nahrungsmittelgenerator erhalten hatte. „Also irgend etwas stimmt nicht mit den Nahrungsspendern..“ Schlomo und Golem zogen spontan den selben Schluss.
Golem öffnete auch dessen Wartungsklappe. Nachdem er lange darin herum hantiert hatte, stellte er fest: „Das Gerät hat 80 mal soviel Intelligenz, wie ein Nahrungsgenerator braucht. Das ist zwar alles Worguntechnik, ist aber nie und nimmer von den Worgun konstruiert worden. Für mich sieht das so aus, als hätte jemand Teile von Worgungeräten genommen, nur so halbwegs verstanden, was die machen und zu etwas Neuem zusammengebastelt...“ „Das kann schon sein, die Menschen haben die Worguntechnik erst vor knapp 10 Jahren entdeckt...“ „Das erklärt einiges…”
„Die Theorie lässt sich vielleicht verifizieren, wir können ja einmal nachsehen, ob das bei dem Transmitter genauso ist.” Golem sprach’s und stand schon wieder vor der Wartungsöffnung des Transmitters. Er taste lange und ausgiebig auf ein kleines Eingabefeld in der Luke und meinte schließlich: “Ich habs! Das ist ein Bibliotheksmodul!“ „Ein was?“ „Wenn die Worgun oder auch die Wojiden etwas konstruieren, entwickeln sie nicht jedes Teil neu. Sie greifen auf eine extrem umfangreiche Bibliothek mit gut getesteten Bauelementen zurück. Das hier hat die Worgunbezeichnung Tarek-263-0214-A4. Es ist ein Wandsegment mit Durchgangsschott und verstecktem Transmitter.“ „Das würde erklären, wieso es in der Kantine und in allen Kabinen Transmitter gibt.” „Im Ernst? Es gibt auf diesem Schiff in allen Kabinen Transmitter?“ „Ich weis nicht, ob in allen, aber zumindest in meiner...“ „Das entspricht nicht der Worgunschen Philosophie.“ „Es wurde ja auch von Terranern konstruiert.“ „Dann haben die Konstrukteure nicht gewusst, was sie hier einbauen...“
Schlomo bereitete sich innerlich darauf vor, mit diesem Schiff noch einige Überraschungen zu erleben. Golem stand kopfschüttelnd vor dem ‘Wandsegment’. Amte er den Rabbi nach, oder wieso schüttelte ein Roboter dem Kopf? Etwa aus Verwunderung?
„Jetzt sollten wir aber das Material von Oi holen.“ „Lass nur, ich geh schon.“ Golem schaltete den Transmitter ein und trat durch das Feld. Schlomo drehte sich zum Kater um, aber der hatte längst aufgegessen. Er hüpfte vor dem Ausgabeschacht des Nahrungsspenders herum um pfotelte in den Schacht hinein. Der Rabbi sah sich das näher an, und tatsächlich, im Ausgabeschacht lag noch eine Dose Kittekotz. Er nahm die Dose heraus, öffnete sie und kippte den Inhalt auf den Teller des Katers, der sofort zur Stelle war und – diesmal etwas langsamer – weiter mampfte.
Golem kam wieder aus dem Transmitter. „Das ging aber schnell!“ „Ja, ich hab nur dem Masterchecker bescheid gesagt, der schickt das Material und ein paar Bauroboter in ein paar Minuten her.“ „Dann sollten wir hier ein wenig Platz schaffen.“ Schlomo wollte einen Tisch weg rücken, aber die waren ja alle am Boden festgeklebt. Wenigstens war der Kater mit seinem Teller am anderen Ende der Kantine und stand nicht im Weg herum. Da kam auch schon die erste Plastikkartusche aus dem Transportfeld und landete vor einem Tisch. Sie war zylinderförmig, etwa einen Meter und zwanzig lang, 60 Zentimeter im Durchmesser und grau.
Schlomo wollte den Zylinder wegrollen, aber Golem hielt ihn zurück. „Da kommt noch mehr.“